Vossische Zeitung, 14. September
1888
Anlässlich der wiederholten Mordthaten im Londoner Stadtbezirk
Whitechapel, über deren Verüber die Polizei noch immer
nichts ermittelt hat, richten sich jetzt seitens eines Theils der
englischen Presse heftige Angriffe gegen den Minister des Innern,
Matthews, dem die hauptstädtische Polizei unterstellt ist
und dessen Verwaltung ohnehin schon zu verschiedenen Malen scharf
getadelt worden ist. Der „Daily Tel.“, dem sich nicht
gerade Feindseligkeit gegen Herrn Matthews nachsagen lässt,
fordert mit dürren Worten, dass der Minister seinen Posten
einem fähigeren Manne einräume, denn wenn er im Parlament über
Dinge befragt werde, die jedem einsichtigen Menschen klar seien,
so erwiderte er, der Minister, regelmäßig, dass er davon
nichts wisse oder sich erinnere oder nie davon gehört habe.
Man darf diese Angriffe als ein Anzeichen dafür betrachten,
wie sehr die Einwohner Londons durch die geheimnisvollen Mordthaten
beunruhigt sind; Herrn Matthews aber werden sie wenigen anfechten.
Er hat Schlimmeres erlebt, als das Verbot der Volksversammlungen
auf Trafalgar Square die Stimmung der Bevölkerung aufs Äußerste
gereizt hatte und als er sich später in dem Falle der Putzmacherin
gar Blößen gab, die für einen Minister höchst
bedenklich waren, seine Stellung aber gleichwohl nicht zur erschüttern
vermochten. Im gegenwärtigen Falle kommt ihm ein angesehener
Londoner Arzt, Dr. Forbes Winslow, zu Hilfe, der seine Ansicht
dahin ausspricht, dass die Mordthaten in Whitechapel von einer
und der derselben Person begangen seien und dass diese Person irrsinnig
sei. Dr. Winslow hat demgemäß der Londoner Geheimpolizei
mitgetheilt, dass wahrscheinlich ein vor Kurzem aus dem Irrenhause
Entlassener der Thäter sei und er es für angezeigt halte,
dass sich die Behörden an die englischen Irrenanstalten wenden
mit der Bitte, ihnen eine Liste sämmtlicher in der letzten
Zeit entlassenen Geisteskranken zu geben.
Thomas
Schachner
(Dokument
zuletzt bearbeitet am 20.11.04)